Kopfzeile

Inhalt

Die Trennung von Menzingen

1848

In der Schweiz erreichten die politischen Unruhen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Bürgerkrieg von 1847 ihren traurigen Höhepunkt. Der konservative Sonderbund, dem auch Zug angehörte, unterlag den Truppen General Dufours. Der Weg für die Schaffung eines Schweizerischen Bundesstaates, wie er in der Bundesverfassung von 1848 grundgelegt wurde, war damit geebnet. Der Kanton Zug hatte bereits am 21./22. November 1847 kapituliert und war sofort militärisch besetzt worden. Eine ausserordentliche Landsgemeinde berief am 5. Dezember 1847 die bisherigen Behörden ab, wählte eine provisorische Regierung und bestätigte den Antrag auf Totalrevision der kantonalen Verfassung. Demzufolge wurde am 13. Dezember 1847 ein mehrheitlich liberaler Verfassungsrat eingesetzt.

Diese Zeit des völligen Umbruchs bot einem Teil der Neuheimer die offenbar schon mehrmals erwünschte Gelegenheit zur politischen Trennung von Menzingen, mit dem zusammen man seit Jahrhunderten eine der drei Gemeinden des äusseren Amtes gebildet hatte. Am 21. Dezember 1847 beschloss die Kirchgemeinde Neuheim mit Stimmenmehrheit, der provisorischen Regierung des Standes Zug im Zusammenhang mit der Verfassungsrevision die Bildung einer eigenen politischen Gemeinde Neuheim vorzuschlagen: Nicht nur seien die beiden Dörfer eine gute Stunde, also recht weit, voneinander entfernt, Neuheim sei ja auch heute schon in mehrerer Hinsicht von Menzingen geschieden - so zum Beispiel seit 1675 im Kirchenwesen.

Die an der Kirchgemeindeversammlung unterlegene Minderheit wandte sich später ebenfalls an die Regierung und bat, unter allen Umständen bei Menzingen bleiben zu dürfen und nicht unter eine Gemeinde gezwungen zu werden, zu welcher sie «weder Liebe noch Neigung und Vertrauen» hätten, seien doch ihrer Ansicht nach die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die politische Verselbständigung Neuheims unzureichend. Am 28. Dezember 1847 forderte die provisorische Regierung die Kirchgemeinde Menzingen auf, zum Gesuch der Neuheimer innerhalb von drei Tagen, Stellung zu nehmen. Der Menzinger Kirchenrat reagierte prompt und ausgesprochen vornehm.

Den Vorwurf, die Neuheimer stiefmütterlich und als Minderheit behandelt zu haben, wies man ruhig zurück und erlaubte sich auch kein Urteil darüber, ob Neuheim für die Bildung einer eigenen politischen Gemeinde die nötigen geistigen und materiellen Mittel besitze. «Will der Kirchgang Neuheim mit uns Freud und Leid in gemeinsamer Haushaltung, wie seit Jahrhunderten, teilen, so fühlen wir uns mit Freuden angezogen, sie in Zukunft wie in der Vergangenheit mit gleicher uneigennütziger Rücksicht zu behandeln; glaubt er aber in der Trennung sein künftiges Glück zu finden, so nehmen wir zu viel Teilnahme an allem, was Neuheim berührt, als dass wir gegen dessen vermeintliches Glück sein könnten. Ungezwungen sei der Wille, welcher mit uns sich vereinigen will; frei sei aber auch jener Wille, der von uns scheiden will.»

Mit Entschiedenheit verwandte man sich indes für jene Neuheimer, die bei Menzingen bleiben wollten, seien sie doch «ein lebendiges Monument, dass es immer noch Männer gibt, welche die Handlungsweise von Menzingen gegenüber Neuheim zu würdigen wissen». Die vorberatende Kommission des Verfassungsrates sprach sich einstimmig dafür aus, Neuheim von Menzingen abzutrennen und als elfte politische Gemeinde des Kantons Zug in die Verfassung aufzunehmen. Der Verfassungsrat selbst schloss sich am 7. Januar 1848 mit 37 gegen 7 Stimmen dieser Meinung an, lehnte es jedoch ab, auf den Wunsch einzelner Neuheimer, bei Menzingen verbleiben zu können, einzutreten. Am 16. Januar 1848 wurde die neue Kantonsverfassung bei massiger Stimmbeteiligung vom Souverän angenommen. Neuheim war damit als eigene politische Gemeinde anerkannt.

Schon am 19. Januar 1848, also bloss vier Wochen, nachdem man die Loslösung von Menzingen erstmals öffentlich gefordert hatte, wählte die Neuheimer Gemeindeversammlung die ersten gemeindlichen Beamten und bestellte ihre Behörden. Die «separatistischen» Neuheimer hatten also ihren politischen Willen in kürzester Zeit durchsetzen können. Das eigentliche Teilungswerk war damit aber noch keineswegs abgeschlossen. Wohl war der territoriale Umfang der neuen Gemeinde einigermassen klar: er umfasste das Gebiet des alten Kirchgangs Neuheim. Eine exakte Grenzlinie zwischen Menzingen und Neuheim soll allerdings damals noch nicht bestanden haben; angeblich wusste man bloss, ob ein Haus da oder dorthin gehörte! Ungelöst war indes die Ausscheidung der bis dato gemeinsamen Besitzungen und Verpflichtungen, desgleichen die Frage, wer denn nun künftig in welcher Gemeinde heimatberechtigt sei. Eine aus Vertretern der zwei Gemeinden gemischte Teilungskommission machte sich unter ständiger Rückversicherung bei den beiden Gemeinderäten bzw. -Versammlungen an die schwierige Arbeit.

Trotz gelegentlicher Rückschläge bleibt anzuerkennen, dass der freundschaftliche und loyale Geist, wie ihn der Menzinger Gemeindepräsident und mehrfach wiedergewählte Landammann Franz Josef Hegglin in der ersten Kommissionssitzung beschworen hatte, im grossen und ganzen durchgehalten wurde:

«Menzingen und Neuheim haben während Jahrhunderten Freud und Leid in heiteren und trüben Tagen auf eine echt familiäre Weise getragen; kein Ereignis vermochte ihr gutes Verständnis zu stören. Wolle und möge die Teilung selbst diesem echten Brudergeist die geistliche Weihe geben, indem das Wenige, welches zu verteilen ist, im Frieden und in Liebe, fern von jeder Eigennützigkeit geteilt wird, um so auch für die Zukunft zwischen beiden Gemeinden als zwei Schwestergemeinden ein gutes Verhältnis zu bewahren.»