Pest-Epidemien in Neuheim
Die Pest war über viele Jahrhunderte eine schreckliche und gefürchtete Krankheit. Auch in Neuheim grassierte die Seuche immer wieder. Nachdem die Neuheimer Kirche 1617 noch wegen Platzmangel erweitert wurde, schlug die tödliche Krankheit wenig später unbarmherzig zu. Zu allem Elend mussten in dieser Zeit die Leute noch ohne ihren Pfarrer auskommen. Pfarrer Christian Hürlimann fiel bereits zu Beginn der Epidemie 1626 der Seuche zum Opfer. In einer Zeit in welcher Neuheim Beistand dringend gebraucht hätte, fehlte nun auch ihr Seelsorger. Die Pest erreichte bei uns im Jahre 1629 ihren Höhepunkt. In diesem Seuchenzug fielen von den 230 Dorfbewohnern die Hälfte, das heisst 112 Menschen der Krankheit zum Opfer. Die Pest raffte vielfach auch gesunde und im besten Alter stehende Leute dahin. Weitere Pestjahre waren bei uns 1505, 1517, 1542 und 1564. Im Jahre 1564 zählte man im benachbarten Menzingen 430 Pest-Tote und auch in Ägeri starb ein Viertel der Bevölkerung an dieser Krankheit. Eine grosse Einschleppungsgefahr bildete bei uns die frühere Fernstrasse. Diese führte von Italien über den Gotthard nach Schwyz-Aegeri-Hinterburg-Sihlbrugg und über die Saumstrasse nach Horgen, sowie weiter in den süddeutschen Raum. In den Gasthöfen zur Hinterburgmühle, zum Saarbach und zum Löwen in Sihlbrugg vermischten sich fremde Reisende mit unseren Leuten. Eine weitere Gefahr bildete die Reisläuferei. Junge Neuheimer liessen sich für riegsdienste anwerben und waren vielfach in Gebieten stationiert, in welchen auch die Pest wütete. Eine weitere Ansteckungsgefahr bildete unsere bekannte und beliebte Wallfahrtskirche. Auswärtige Gläubige besuchten die Kirche «unserer Lieben Frau» um dort ihre Sorgen und Nöte der Muttergottes anzuvertrauen.
Das Krankheitsbild der Pest und die hohe Todesrate jagten den Menschen grosse Angst ein. Primär wurde die Seuche als Strafe Gottes für die sündige Menschheit interpretiert. Der Glaube an Gott, die Fürbitte bei Jesus sowie den Heiligen bildete für die Gesunden, wie auch für die Kranken, einen letzten Rettungs-Anker. In solcher Not wurden die Pestheiligen Sebastian und Rochus angerufen. Man flehte sie an, bei Gott ein gutes Wort einzulegen. In Angesicht der entsetzlichen Krankheit galt es trotzdem menschliche Handlungen vorzunehmen. Das heisst, Kranke mussten gepflegt und Tote begraben werden. In Neuheim wurde dazu die Sebastians Bruderschaft gegründet und der Heilige Sebastian gar zum Kirchenpatron erhoben. Die Sebastian Bruderschaft gebot ihren Mitgliedern, Kranken hilfreich beizustehen, die Toten zu begraben und täglich für einen wohlvorbereiteten Tod zu beten.
Doch auch der Pest begegnete man nicht tatenlos, sondern es wurde viel zu deren Eindämmung unternommen. Leider war dabei nicht Alles wirksam. Es wurden Feuer entfacht um die Luft zu reinigen und öffentliche Märkte wurden verboten. Man organisierte Bittgänge und in Gottesdiensten reichte man den Gläubigen die heilige Kommunion auf zwei Meter langen Löffeln. Waschfrauen befahl man, Kleider von infizierten Kranken nicht mit der gewöhnlichen Wäsche zu waschen. Weiter durfte die Totenglocke erst läuten, wenn die Toten bereits begraben waren und Totenmessen gab es keine. Über die noch offenen Gräber wurde Kalk geworfen und an den Gemeinde Grenzen stellte man Wachen auf um fremde «Bettler, Ausreisser und dergleichen Hudelgesindel» die Einreise zu verweigern. Doch gegen diese chreckliche Krankheit schien auf Erden kein Kraut gewachsen zu sein.
Die Ansteckung
Die erste grosse Pestwelle erreichte Mitte des 14. Jahrhunderts Europa. Sie begann 1346 in Sizilien und weitete sich innert fünf Jahren auf ganz Europa aus. Damals starben rund 25 Millionen der 75 Millionen Menschen Europas. Der Schwarze Tod erreichte die Schweiz 1348 und brach in den Städten des Mittellandes aus. Danach blieb sie für die Leute eine ständige Bedrohung und alle 10 bis 20 Jahre traten grössere oder kleinere Epidemien auf. Neben einer Ansteckung von Mensch zu Mensch waren auch wildlebende Nagetiere, wie Ratten und Mäuse Übertrager dieser Krankheit. Die Übertragung von Tier zu Mensch erfolgte über Flöhe. Wohl bemerkte man bei Pestepidemien das Massensterben von Ratten, erkannte aber den Zusammenhang nicht. Diese Tiere bildeten damit gewissermassen ein natürliches Erregerreservoir. Deshalb zeigte auch die Isolation von Pestkranken, wie sie beispielsweise bei Aussätzigen erfolgreich war, wenig Erfolg. Die spezielle Übertragungsweise der Pest, machte auch deren Bekämpfung so schwierig.
In den Städten gab es spezielle Pestärzte. Diese wurden auch «Schnabeldoktoren» genannt. Sie trugen ein langes gewachstes Gewand. Den Kopf bedeckte ein flacher Zylinder und das Gesicht wurde durch eine Maske mit einer schnabelartigen Ausbuchtung geschützt. In diesem Schnabel befanden sich Kräuter und Flüssigkeiten, die vor den «Ausdünstungen» der Kranken schützen sollten. Über den Händen hatte der Schnabeldoktor Handschuhe an. Um nicht zu nahe an die Kranken herangehen zu müssen, gab der Arzt seine Anweisungen mit einem Zeigestock. Die Ärzte empfahlen Mittel, die man auch bei anderen Krankheiten anwandte. Dazu zählte auch der Aderlass. Man ordnete die Isolation der
Kranken in Seuchenhäusern oder speziellen Zimmern an. In alten Zuger Bauernhäusern finden sich heute noch oberhalb von Zimmertüren kleine Luken, sog. Pestluken, welche zur Versorgung von isolierten Kranken gedient haben sollen.
Der Krankheitsverlauf
Die Pest trat in drei verschiedenen Formen auf: Als Beulen- oder Burbonenpest, als Lungenpest und schliesslich als Befall über den Blutkreislauf. Letztere Form befiel den ganzen Körper. Die Beulenpest war die häufigste Form und wurde durch Menschen, wie auch durch Rattenflöhe, übertragen. Der Blutkreislauf-Befall geschah über eine Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch. Bei dieser Form trat der Tod schon am ersten Tag, ja sogar nach wenigen Stunden nach den ersten sichtbaren Symptomen ein. Die Einen litten an heftigstem Fieber, verloren die Fähigkeit zu reden und fielen in Bewusstlosigkeit. Kamen sie wieder zu sich, versuchten sie zu reden, gaben aber bald darauf ihren Geist auf. Bei den Übrigen griff die Krankheit die Lungen an. Diese hatten unter heftigsten Brustschmerzen einen blutigen Auswurf. Den inneren Organen entstieg ein ungewöhnlicher und übelriechender Atem. Deshalb die entsprechende Redensart. Zunge und Schlund der Kranken trockneten aus. Grosser Durst, Schlaflosigkeit und beängstigende Halluzinationen waren typische Krankheitssymptome. Bei der Beulenpest bildeten sich rote und schwarze Flecken in verschiedenen Abstufungen. Dazu kamen schwarze Beulen an Armen, Kiefern und an anderen Körperstellen. Wurden diese Beulen weich, hatte das häufig die Genesung zur Folge, blieben sie hart, bedeutete das den sicheren Tod. Nur jeder fünfte an Beulenpest Erkrankte, überlebte die Seuche.
Die Folgen der Pest
Zu den schlimmen wirtschaftlichen Folgen der Pest, gehörte der Mangel an Arbeitskräften. Grosse Flächen des Kulturlandes verwilderten und ganze Dörfer entleerten sich. Vielfach folgte auf eine Pestepidemie noch eine Hungersnot. Die Pest war früher für die Menschen eine unfassbar schreckliche Geissel. Ab 1660 erlosch die Krankheit langsam. Die letzte Pestepidemie trat in Europa Ende des 18. Jahrhunderts in Marseille auf. Heute hat diese Bakterienkrankheit ihren Schrecken verloren, denn sie könnte erfolgreich mit Antibiotika behandelt werden.